
„Au, pass´ doch auf wo du mit deinen Quadratlatschen hintrittst!“
Huch – was war das denn für eine komische hohe Stimme? Ich drehte mich zu meinem Opa um und sah ihn mit grossen Augen verwundert an. Und er blickte mich zweifelnd an. Opa dachte wohl, dass kann doch nicht von mir kommen??! „Opa, warst Du das eben? Hast Du das auch gehört?“
Bevor ich antworten konnte, kam wieder diese hohe Piepsstimme wie aus dem Nichts: „Ihr Quatschköppe, nein, mich hat dieser alte Mann getreten.“
Der Unbekannte hatte sie wohl nicht alle. Von wegen alter Mann! Aber trotzdem, wir sahen uns verwundert an. Das gab‘s doch nicht! Da war niemand zu sehen? Wir blickten ratlos umher.
Was war hier bloß los? Unsere Schlucht war ja schon ganz schön abenteuerlich, aber so etwas war uns noch nie passiert! Aber jetzt erst noch einmal von vorne.
Meine Oma und mein Opa leben in einer Kleinstadt an einem Fluss. Etwa 1.000 m von ihrem Haus entfernt führt eine Schlucht auf eine Hochebene mit viel Ackerland und einigen Bauernhöfen. Diese Schlucht war für mich als Junge mit 9 Jahren einfach toll. Ein 2 km schmaler etwas verträumter Trampelpfad führt einen kleinen Hügel zur Schlucht hinauf.

An beiden Seiten geht es etwa 10 – 15 m steil hoch und in der Schlucht wurde nie aufgeräumt. Da lagen Bäume kreuz und quer, Gestrüpp und Geäst säumten auch die Seiten. Ein jedes mal wenn Oma und Opa mit mir dort hin gingen, war dies ein kleines Abenteuer für mich. Da gab es Geisterbäume, Felsen die Gesichter hatten, Erdhöhlen die bestimmt bewohnt waren und Lianen die im Wind schaukelten als hinge jemand an ihnen.

Oma und Opa waren nach solch einer Tour immer ganz schön müde, denn der Pfad musste wegen der umgestürzten Bäume öfter verlassen werden, dass war stets abenteuerlich und voller Action und die Kletterei im Hang war anstrengend und lustig. Einfach ein tolles Gefühl!
Aber was war das heute nun? Ich war verwirrt – so etwas kannte ich dort nicht. Ich war mit Opa alleine unterwegs. Er ist zwar nicht mehr der Jüngste, aber dennoch ganz schön fit. Eigentlich kann ich mit ihm überall hin.
Rutschen, Kletterwald, Schlucht, Handball …und und.
Tja, so war das also, aber jetzt? Was war das für eine Stimme aus dem Nichts? „Heb endlich deinen Fuß und geh einen Schritt weiter. Du tust mir weh!“
Opa sah Klasse aus, als er jetzt einen Sprung nach vorne machte. Ich mußte laut lachen. Die Figur war wirklich komisch anzusehen. Opa war leicht sauer. „Jetzt komm endlich aus deinem Versteck. Ich will sehen wer hinter dieser hohen Stimme steckt!“ „Es gibt kein Versteck, ich liege jetzt direkt hinter dir auf dem Pfad.“ Die Stimme kam von dort, aber da war nix! Langsam wurde mir unheimlich! Opa bückte sich, sah sich genau den Boden an: Nichts! Aber sofort kam wieder die Piepsstimme: „Da kannste lange suchen! Ihr könnt mich nicht sehen! Hahaaa…“ Mir wurde mulmig, am liebsten würde ich sofort weglaufen! Nur weg von diesem Ort. Ich zupfte Opa am Arm: „Komm Opa, lass uns schnell verschwinden!“
Opa verzog sein Gesicht. Er wurde jetzt doch neugierig. Er wollte mehr erfahren. Ga…., ga…., ganz schön mutig. Ich zitterte ein wenig. Mit Außerirdischen wollte ich nichts zu tun haben, ich hatte ja schon viele Geschichten gelesen und gehört. Opa fragte ganz ruhig (wau, der hatte echt Nerven) „Also gut, wir hören dich, sehen dich aber nicht?! Wer bist du? Wie siehst du aus wenn man dich sieht?“ Mutiger Opa…
“Na ja“ kam da die Piepsstimme von irgendwoher „Das ist so eine Sache, das versteht ihr bestimmt nicht!“ Opa gab nicht nach und auch ich wurde langsam ruhiger. Die unterhielten sich ja ganz normal, mal abgesehen von der hohen Stimme des Unsichtbaren.
Opa bohrte nach „Hallo, nun mal raus mit der Sprache. Was bist du, wer bist du?“
Der Unbekannte war anscheinend etwas beeindruckt von Opa. „Du, dein Alter, oh Entschuldigung, dein Opa ist doch ganz schön clever. Er gibt nicht nach. Aber trotzdem, es ist nicht ganz einfach und eine lange Geschichte.“ Opa setzte sich auf einen alten Baumstamm, winkte mir zu und zeigte neben sich. Ich ging schnell hin und setzte mich neben ihn.
“So du kleiner, großer Unsichtbarer, wir haben Zeit, jetzt erzähle einmal deine Geschichte.“ raunzte er.
Die Piepsstimme druckste herum „Also, das ist so, ich bin eigentlich ein, ich brings nicht so raus, wie, es ist schon komisch, ich bin, also, ich hab noch nie darüber gesprochen, weil, also, ich muß es ja einmal sagen, ich bin ein, ich bin ein, ein, naja, ich bin ein Re…, ein Re….“
Da rief ich: „Opa, Opa, er ist ein Reh! Ist das nicht toll!“ Da kam sie schon wieder diese helle Stimme: „Nein, nein, ich bin ein Regenwurm!“ Wir staunten Bauklötze – selbst Opa fiel jetzt fast sein Gebiss raus! „Was bist du? Ein Regenwurm?“ Wir waren baff! Was war denn das für eine Geschichte?

Die Stimme fing an, die Geschichte zu erzählen.
„Wisst ihr, diese Schlucht ist etwas Besonderes. In mondhellen Nächten treffen sich hier auch Elfen und spielen miteinander. Ich lag in meinem Gang und hatte oben ein Loch freigemacht, so dass ich den Vollmond sah und die Elfen die da spielten und herum tanzten. Dann wurde es ruhig in der Nacht und auch ich schlief friedlich ein.

Plötzlich wurde ich wach. Da weint doch jemand! Ich richtete mich auf und steckte meinen Kopf vorsichtig aus der Erde. Also ihr müsst wissen, ich kann sehen. Ob alle Regenwürmer sehen können weiß ich nicht so genau. Aber ich kann wirklich sehen, dass ist schon was tolles finde ich. Da saß nun eine kleine Elfe wie ein Häufchen Elend und weinte ganz bitterlich. Ich konnte es kaum mit anhören, so traurig klang das. Sie war ganz alleine! Wo waren ihre anderen Gespielinnen? Ich sprach sie dann an. Wisst ihr, Elfen verstehen alle Sprachen! “Hallo kleine Elfe, hallo, was ist denn mit Dir passiert?“ sagte ich dann zu ihr. Sie hob den Kopf und sah zu mir. Vor lauter Weinen konnte sie mich zuerst gar nicht sehen, glaub ich, sie musste sich ein paar Mal über ihre Augen wischen. Doch dann erkannte sie mich und schluchzte jämmerlich „Oh mein Regenwurm, mir ist etwas furchtbares passiert und nun muss ich sterben!“
Oh Schreck – mir wurde ganz schwindelig und ein kaltes Gefühl ergriff mich! „Aber warum denn?“ fragte ich sie dann
„Ja“ sagte die Elfe „es ist so bei uns: wir haben eigene kleine Kämmerlein in denen wir leben, wenn wir nicht gerade auf der Erde sind. Jede Elfe hat für sein Kämmerlein einen eigenen Schlüssel und nur mit dem können wir zurück in unser Elfenreich! Gegen Morgen, noch vor Sonnenaufgang müssen wir zurück sein. Wer diese Zeit verpasst muss auf der Erde bleiben und stirbt dann mit den ersten Sonnenstrahlen die uns erwischen. Damit wir rechtzeitig zurück sind gehen wir schon immer eine Stunde vorher in unsere Kämmerlein. Also, so gegen 4 Uhr.
Als die Zeit kam flogen alle zu ihrer Tür und gingen hinein. Auch ich stand, wie jede Nacht vor der Tür und wollte aufschließen.
Doch der Schlüssel war weg! Ich suchte verzweifelt! Ich muss ihn beim Spielen verloren haben! Alles Suchen half nichts! Ich bin so verzweifelt und habe so grosse Angst. Es geht gleich die Sonne auf und dann muss ich sterben.
“ Sie weinte bitterlich und es schüttelte sie wild! Viel Zeit blieb ihr nun nicht mehr! Ich schaute mich um und dachte: Es wird schon langsam hell. Wo konnte der Schlüssel wohl nur sein? Vielleicht war er ja in einen meiner Gänge gefallen? Ich tröstete die Elfe und begann sofort zu suchen. Wie wild suchte ich umher. An allen Stellen die ich geöffnet hatte um den Elfen beim Mondlicht zuzusehen!
Und tatsächlich, beim 3. Loch blitzte in der Tiefe etwas! Ihr werdet es nicht glauben! Es war der Elfen-Schlüssel! Ich zappelte und rollte mich vor Freude!

„Hallo Elfe, komm schnell, ich glaube ich habe deinen Schlüssel gefunden!“ Sie sah auf, stockte und zack war sie im Elfenturbo direkt vor mir. Ich hob den Schlüssel mit meinem Kopf hoch. Er war es! Es blieben nur noch ein paar Minuten bis Sonnenaufgang! Die Elfe schrie vor Freude!
Sie nahm den Schlüssel und sagte noch „Morgen um 23.00 Uhr bin ich wieder hier und werde dich reich belohnen, du hast mir soeben das Leben gerettet!“ Und husch, schon rauschte sie davon. Aus der Ferne hörte ich noch einen Jubelschrei. Das war wirklich knapp, denn kurz darauf kamen die ersten Sonnenstrahlen auf die Erde.“
Wir hörten gespannt zu, das war ja unglaublich. Die Stimme schwieg einen Moment. Ich sah zu Opa auf. Opa sass mit grossen Augen da – schweigend und hatte völlig gespannt den Erzählungen des Regenwurms zugehört. Ich war baff! Da hörten wir vor uns auf dem Trampelpfad eine hohe Stimme die uns diese unglaublich tolle Geschichte erzählte! Wir sahen aber nichts! Wir sahen ihn wirklich nicht! Da war niemand!
Als hätte die Stimme es erraten piepste sie: „Ich wusste ja gleich, dass ihr mir das alles nicht glauben werdet! Aber mich gibt es, ich bin hier vor euch und ich spreche doch mit euch! Na also! Hört erst mal fertig zu.“
„Die Elfen waren am nächsten Abend wieder da und spielten im Vollmond. Und pünktlich um 23.00 Uhr stand auch „meine“ Elfe vor meinem Loch und strahlte mich an.“
„So, mein Lebensretter, jetzt will ich dich auch reichlich belohnen.“
Damit hatte ich nicht wirklich gerechnet. Was hatte ich denn schon Großes getan? Einer kleinen, hilflosen Elfe einen Schlüssel aus meinem Gang zurückgegeben! Das war alles. Obwohl sie gestern schon angekündigt hatte, hatte ich doch nicht im Ernst mit einer Belohnung gerechnet. Und nun?
Die Elfe war lustig, strahlte und tanzte fröhlich um mich herum das es glitzerte. „Du bist mein Lebensretter und aus dir mache ich jetzt etwas ganz besonderes!
Zuerst einmal kannst du dich unsichtbar machen! Das war natürlich ganz toll! Da musste ich nicht jedes mal, wenn ich meine Röhre verließ um frische Luft zu schnappen, erst lange Zeit die Umgebung nach Vögeln absuchen, die sowieso nur das eine im Sinne hatten, mich zu fressen. Das waren unsere größten Feinde.

Bevor ich mich bedanken konnte sprach sie auch schon weiter: „Du wirst die Menschensprache verstehen und auch sprechen können! Deine Stimme wird aber in unserer hohen, melodischen Elfensprache sein und du wirst wie wir Elfen fliegen können!“ Mir wurde ganz schwindelig, ich fliegen? Das war unglaublich. Das war doch sicher nur ein Scherz!? Das gab‘s doch nicht! „So“, sagte die kleine Elfe „und damit du als kleiner Wurm auch den Menschen helfen kannst, bekommst du ein großen, unsichtbaren Schutzschild den du überall einsetzen kannst.“
Ich sah Opa stirnrunzelnd an. Jetzt begriff ich gar nichts mehr? Auch Opa sah auf den Boden wo die Stimme herkam und kratzte sich am Kopf?
Die Stimme sagte „Ich merke schon, ihr versteht das noch nicht. Also diesen Schild müsst ihr euch als eine unsichtbare Wand vorstellen, die so 6m breit, 5m hoch und 30 cm dick ist. Die Wand fängt alle Gegenstände die da drauf fahren elastisch ab und leitet sie sanft ab! Die Kraft reicht sogar für LKW´s aus!“
Die Elfe sagte auch zu mir „Und du lieber Lebensretter kannst dich auch vergrößern und hast dann große Kräfte. Du kannst dich um ein Bein des Menschen wickeln und ihn festhalten!
So, ich muss zu meinem Elfenstamm zurück. Wende deine neuen Kräfte gut an und werde nicht übermütig!
Ach so, ganz wichtig, um das alles zu benutzen brauchst du ein Code-Wort. Ich habe dir „ELFE“ eingerichtet. Sobald du „Elfe“ rufst kannst du alle Geschenke von mir auch benutzen. Viel Spaß damit!“
„Und zack – schwirrte sie davon und weg war sie! Das gab‘s doch nicht! Hatte ich nur geträumt? Da lag ich nun in der Nacht an meinem Ausgang und sah den Vollmond. Mein Kopf war ganz wirr und langsam verschwanden die Elfen in der Dunkelheit.
Nun schwankte ich zwischen Angst und Neugier. Ob ich es einmal probieren konnte? Aber was war wenn dann etwas Schlimmes passierte? Ich kämpfte mit mir. Die Elfe war doch sehr dankbar gewesen. Die tat mir bestimmt nichts Böses.

Dann war ich soweit! Ich nahm allen meinen Mut zusammen und rief leise „Elfe“ und dann „fliegen.“ Und was soll ich Euch sagen – Ich schwebte!? Und wo ich mit meinen Gedanken hin wollte kam ich schneller voran als ein Vogel fliegen konnte wenn er Gas gab! „Dort zum Baum.“ Husch, schon war ich dort. Oh Schreck! Dort saß ein Vogel. Wenn der mich sah wurde es eng! Oh, oh, oh. Doch ich schwebte an seinem Schnabel vorbei und der Junge rührte sich nicht!
Hurra, hurra, ich war wirklich unsichtbar. Danke kleine Elfe! Ich war außer mir vor Freude! Nun aber schnell nach Hause in mein Röhrensystem. Schon war ich dort. Lange Zeit konnte ich vor lauter Aufregung nicht einschlafen. Doch endlich siegte die Müdigkeit und ich fiel in einen tiefen Schlaf.“
Die Stimme schwieg.
Opa zog die Schultern hoch, schüttelte den Kopf als wolle er sagen: Und nun? Glauben oder nicht? Ich weiß auch nicht so recht.
Aber da kam schon wieder diese helle Stimme: „Ich merke schon, ihr glaubt mir immer noch nicht. Passt mal auf. Sucht euch an einem hohen Baum einen Ast. Den werde ich euch schütteln.“ Es war windstill in der Schlucht. Ich zeigte auf einen Ast in über 10 m Höhe. Opa nickte „o.k.“ Und wir waren wieder überrascht. Und irgendwie waren wir beide dann auch von der Geschichte bedient! Der Ast bewegte sich nicht nur, er wurde hin und her gerüttelt als wenn da jemand Äpfel schüttelte.
„Seid ihr nun zufrieden?“ fiepste es von oben?
Und ob! Wir waren total perplex und überzeugt! Mir lief es ganz kalt den Buckel runter und Opa der coole, coole Opa brachte seinen Mund gar nicht mehr zu!
Über was waren wir da gestolpert? Was war das jetzt hier? Ein übernatürlicher Regenwurm, der unsichtbar war, fliegen und sprechen konnte und bestimmt auch noch diese Abwehrplatte hatte?
Überlegen konnten wir nicht lange. Vom Boden kam die Stimme wieder: “Also lasst uns Freunde werden. Ich passe in Zukunft auf den kleinen Matti auf, werde auch öfter in seinem Zimmer übernachten, aber er merkt mich nicht. Na ja und bei seinem Opa guck ich auch immer mal vorbei, damit der keine Dummheiten macht!“
„Und jetzt lass ich euch alleine. Ich habe noch andere Dinge zu erledigen und dein Opa soll in Zukunft besser aufpassen wo er seine Quadratlatschen hinsetzt! Tschüss, wir sehen oder besser hören uns in Zukunft sicher öfter!“
Opa war ganz schön sauer: „Du neunmalkluger Besserwisser zeig dich doch endlich mal damit ich dir ausweichen kann! Macht sich unsichtbar und beschwert sich dann wenn man auf ihn tritt! Hey du neuer Überwurm und Freund, sag uns doch wenigstens deinen Namen! Wie heißt du denn?“
„Hab noch keinen Namen. Lasst euch was schönes einfallen.“ rief die Stimme.
Dann war Ruhe und Opa stand mit mir ganz schön betröppelt in der Schlucht! Was da eben passiert war gab es doch gar nicht!? Hatten wir das alles nur geträumt? Oder doch nicht? Wir machten uns auf den Heimweg und sprachen alles noch einmal durch, ohne zu einem klaren Ergebnis zu kommen…

… geträumt hatten wir nicht…aber dazu mehr im 2. Teil …